McAllister im Interview: Bei Asse keine Zeit verlieren

7. Januar 2012

Ministerpräsident David McAllister MdL

Ministerpräsident David McAllister MdL

Im Dauerstreit um das marode Atommülllager Asse dringt Niedersachsens Ministerpräsident McAllister auf eine bessere Einbindung der Bevölkerung und fordert eine engere Zusammenarbeit der Behörden. Dies äusserte der Ministerpräsident in einem dpa-Interview. Zudem äußert er sich im Interview zur erneuten Klage der EU-Kommission gegen das VW-Gesetz und zum bevorstehenden Landtagswahlkampf zur Energiewende und zum VW-Gesetz. Herr McAllister, auch nach dem wahrscheinlich letzten Castortransport nach Gorleben kochen die Emotionen in der Atompolitik 2012 weiter hoch. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat Ihrem Parteifreund Norbert Röttgen beim Besuch der maroden Schachtanlage Asse vorgeworfen, die Bergung des Strahlenmülls als Bundesumweltminister zu verzögern. Wann wissen die Menschen endlich, ob die Abfälle zurückgeholt werden können? McAllister: „Hoffentlich so bald wie möglich. Seit Jahren ist bekannt, dass die Schachtanlage einstürzen und voll Wasser laufen kann. Das Bundesamt für Strahlenschutz muss also einerseits das Grubengebäude so weit wie möglich sichern und andererseits das Konzept der angestrebten Rückholung des Atommülls genehmigungssicher machen. Das ist ein Wettlauf mit der Zeit. Wir sollten alles daran setzen, diesen Wettlauf zu gewinnen. Letztes Jahr habe ich mir die Schachtanlage angeschaut und mit Vertretern der Asse-Begleitgruppe gesprochen. Die Sorgen der Menschen vor Ort nehme ich sehr ernst. Die Asse ist zu einem Symbol für den verantwortungslosen Umgang mit Atommüll geworden. Dieser darf sich nicht wiederholen. Ziel muss es bleiben, das ungeplante Endlager vollständig zu leeren und das Bergwerk zu verfüllen, um einen späteren Einsturz zu verhindern. Der Bund ist gefordert. Das Land wird alles daran setzen, das für die Lösung dieses Problems Notwendige zu tun. Sie haben der Bevölkerung mehr Mitsprache in der Debatte zur Zukunft der Asse versprochen. Wie soll das gelingen, wenn schon jetzt mehrere Behörden und Experten mitmischen, die sich oft nicht einig sind? McAllister: „Erforderlich ist ein regelmäßiger und intensiver Austausch aller Beteiligten. Die Menschen wollen eine enge Kooperation der zuständigen Behörden und kein „Schwarzer-Peter-Spiel“. Es gilt, weitere Ressourcen nutzen – auch die der Bevölkerung. Wir dürfen jedenfalls nicht durch bürokratisches Kleinklein weitere Zeit verlieren.“ Derweil bleiben Sie beim Dauerthema Gorleben ein wenig in der Klemme. Zur Jahresmitte soll das Endlager-Suchgesetz des Bundes kommen – doch gleichzeitig haben Sie vorgeschlagen, dass der Salzstock zumindest bis zum Abschluss einer Sicherheitsanalyse 2013 weiter erkundet wird. McAllister: „Mit dem verabredeten Endlagersuchgesetz kann die deutsche Politik einen großen Schritt nach vorne in Richtung auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens machen – wie er bei der parteiübergreifenden Einleitung der Energiewende im zurückliegenden Jahr bereits gelungen ist. Wir sind auf einem guten Weg. Wer hätte denn vor einem Jahr gedacht, dass Bund und Länder einen ernsthaften neuen Anlauf in der Endlagerfrage unternehmen würden? Entscheidend ist, dass die einseitige Fixierung auf Gorleben beendet ist. Nun geht es um die Frage, wie die bisherigen Erkundungsergebnisse in Gorleben in das weitere Verfahren einfließen können. Da gibt es unterschiedliche Positionen. Die einen wollen die Erkundung von Gorleben sofort stoppen, die anderen diese Erkundung unbegrenzt zu Ende führen. Vor diesem Hintergrund ist ein Kompromissvorschlag entstanden, die vorläufige Sicherheitsanalyse des Salzstocks abzuschließen und 2013 die weitere Erkundung erst einmal zu stoppen, um einmal innezuhalten und die bis dahin gewonnen Erkenntnisse für die weitere Endlagersuche zu nutzen. Unabhängig davon ist und bleibt die Frage der Rückholbarkeit des hochradioaktiven Atommülls zu klären. Das hat etwas mit den Erfahrungen mit der Asse zu tun, aber auch mit den Erkenntnissen der Ethik-Kommission, welche die Frage aufgeworfen hat, ob wir heute überhaupt die Legitimation dafür haben, Entscheidungen für die Ewigkeit zu treffen. Außerdem kann niemand abschließend beurteilen, ob es nicht in einigen hundert Jahren Technologien gibt, mit der sich diese Abfälle unschädlich machen lassen.“ Weil die Energiewende auch für Niedersachsen große Folgen hat, sehen Sie enorme Chancen für die Windkraft. Was sagt die Kanzlerin zur Idee eines „Masterplans für die offshore-Windenergie“? Wollen Sie ein Bundesministerium für Energie? McAllister: „Noch habe ich keine Antwort auf meine Initiative aus dem Dezember. Im Bund sind viele Akteure für die Windenergie auf hoher See zuständig – das Verkehrs-, Umwelt- und Wirtschaftsministerium. Mein Wunsch ist, dass die Aktivitäten beim Ausbau der Offshore-Windenergie noch mehr koordiniert werden. Unabhängig von der Frage, ob es ein eigenes Energieministerium geben könnte oder nicht, ist es wichtig, dass alle Verantwortlichen eng zusammenarbeiten. Im März werde ich das Thema auch bei der Norddeutschen Ministerpräsidentenkonferenz in Kiel auf die Tagesordnung setzen.“ Wirtschaftspolitisch hat Sie 2011 besonders die neuerliche Klage der EU-Kommission gegen das VW-Gesetz umgetrieben. Was passiert, wenn die Sperrminorität des Landes Niedersachsen von 20 Prozent kippen sollte? McAllister: „Die angekündigte Klageschrift der Kommission liegt noch nicht vor. Bisher orientieren wir uns an Presseerklärungen und anderen Verlautbarungen aus Brüssel. So bleiben Einzelheiten abzuwarten: Welche Passagen des VW-Gesetzes greift die Kommission konkret an? Attackiert Sie auch die VW-Satzung? Wir gehen davon jedenfalls davon aus, dass das Vertragsverletzungsverfahren erfolglos bleibt. Das vorherige Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat die Bundesrepublik eins zu eins umgesetzt. Dennoch: Der freie Kapitalverkehr ist eine der vier Grundfreiheiten im EU-Binnenmarkt. Müssen da nicht die gleichen Regeln für alle gelten – selbst für einen historisch gewachsenen Konzern wie VW? McAllister: „Es gibt auch anderswo Abweichungen von der reinen Lehre der völligen Kapitalfreiheit. Zudem hat das VW-Gesetz den Praxistest des Marktes längst bestanden: VW ist das größte und erfolgreichste Industrieunternehmen Deutschlands, und zwar nicht trotz, sondern wegen des VW-Gesetzes. Die Stärke dieses Unternehmens ist die besondere Kultur des Miteinanders und das Engagement seiner Ankeraktionäre. Als Katar 2009 bei VW eingestiegen ist, hat es sich von den hiesigen Regelungen gerade nicht abschrecken lassen. Insofern gehen die Vorwürfe der Kommission auch praktisch in die Leere.“ Wird 2012 auch für Niedersachsen das erwartete harte Krisenjahr? McAllister: „In der jetzigen Lage sind wir gut beraten, auf Sicht zu fahren. Die meisten Unternehmen berichten mir, dass sie sich für 2012 gut gerüstet sehen. Das ist auch der aktuelle Tenor aus den Industrie- und Handelskammern. Die pessimistische Stimmung, die einige verbreiten, teilen viele in der Wirtschaft nicht. Noch sind Deutschland und besonders Niedersachsen Inseln der Stabilität in rauer See. Wir sollten alles dafür tun, dass dies so bleibt.“ Die Bundeswehr-Reform wird in den kommenden Jahren schmerzhafte Einschnitte bringen. Wie wollen Sie den betroffenen Kommunen helfen? McAllister: „Die Landesregierung hat 700 000,- Euro hat als Sofortmaßnahme zur Verfügung gestellt, um Gutachten zur Nachnutzung von militärischen Liegenschaften zu finanzieren. Die Bundesregierung habe ich darum gebeten, dass freiwerdende Liegenschaften unbürokratisch und zu akzeptablen Konditionen bereitgestellt werden. Verteidigungsminister de Maizière hat Niedersachsens Position als starkes Bundeswehr-Land auch fair berücksichtigt. Die Landesregierung wird die betroffenen Standortkommunen in diesem schwierigen Umstellungsprozess nicht allein lassen.“ Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen müssen auch mit dem Abzug der Briten fertig werden. Haben Sie Verteidigungsminister Philip Hammond beim London-Besuch vor Weihnachten zu Zugeständnissen bewegen können? McAllister: „Die grundsätzliche Entscheidung der Britischen Regierung, bis 2015 einen ersten Teil und bis 2020 alle Truppen aus Deutschland abzuziehen, ist unumkehrbar. Allerdings müssen auch von britischer Seite viele Fragen geklärt werden. Für uns ist wichtig, rechtzeitig und umfassend über alle konkreten Schritte informiert zu werden. Das machen die Briten bislang in vorbildlicher Weise. Außerdem haben wir in Niedersachsen ein ganz fundamentales Interesse daran, dass der Truppenübungsplatz in Bergen-Hohne auch nach einem Abzug der britischen Truppen von diesen weiterhin für das militärische Training genutzt wird. Nach meinen Gesprächen in London habe ich jedenfalls die berechtigte Hoffnung, dass Bergen-Hohne weiter „im Rennen“ ist. In knapp einem Jahr wird der Landtag gewählt. Reicht es für Sie und die FDP, die in einigen Umfragen bei bundesweit zwei Prozent liegt? McAllister: „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die CDU auch im nächsten Landtag die stärkste Fraktion sein wird. Danach muss man in einem zweiten Schritt schauen, wie man tragfähige Mehrheiten bildet. Wir arbeiten seit 2003 harmonisch und vertrauensvoll mit der FDP zusammen. Es gibt eine große inhaltlich-politische Schnittmenge. Rot-rot-grüne Verhältnisse wie in Nordrhein-Westfalen mögen unserem Bundesland erspart bleiben. Das beste Rezept gegen ein solches Chaos ist eine stabile CDU.“ Haben Sie für den Notfall keine anderen Farbenspiele im Hinterkopf? McAllister: „Den Ausgang der Wahl im Januar 2013 kann niemand vorhersehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre zwischen einem Drei- und einem Sechs-Fraktionen-Landtag alles denkbar. Die CDU wird wieder den Ministerpräsidenten stellen. Das garantiert, dass Niedersachsen weiter ordentlich regiert werden kann.“ Für die SPD tritt Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil an, zu dem Sie einen guten Draht haben. Ändert der Wahlkampf ihr Verhältnis? McAllister: „Wir werden einen intensiven, aber fairen Wahlkampf führen. Ich hoffe, dass sich alle Verantwortlichen in der SPD daran halten. In der Sache streite ich mich gern, doch sollte eine politische Auseinandersetzung nie ins Persönliche und Private gehen. Die Niedersachsen haben sympathischerweise eine grundsätzliche Abneigung gegenüber schrillen Tönen. Das finde ich richtig.“ (dpa)