„Die Wähler der Mitte wollen keine Steuererhöhungen“

19. Dezember 2011

Ministerpräsident David McAllister MdL

Ministerpräsident David McAllister spricht im Interview mit der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung über die richtige Bildungspolitik für Niedersachsen, die Bedeutung Großbritanniens für Europa und kritisiert die geplanten Steuererhöhungen von Seiten der SPD und der Grünen. Herr Ministerpräsident, nach allen verfügbaren Umfragen gibt es derzeit in Niedersachsen keine schwarz-gelbe Mehrheit mehr. Wie wollen Sie bis zur Landtagswahl die Stimmungswende hinbekommen? Eine Stimmung ist keine Abstimmung. Gewählt wird am 20. Januar 2013, also in 13 Monaten – das ist noch eine lange Zeit. Denken Sie mal 13 Monate zurück. Wurde damals über die europäische Schuldenkrise diskutiert? Keiner hätte damals vorhergesagt, dass sich Ende dieses Jahres die Euro-Staaten auf eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild verständigen würden. Oder nehmen Sie die Debatte um die Kernkraft. Vor 13 Monaten war die Stadt Fukushima nur Japan-Kennern geläufig. Wir haben allerdings Mühe, uns ein Weltereignis vorzustellen, durch das plötzlich die siechen Liberalen wieder wundersam genesen könnten … Die FDP ist in einer schwierigen Situation. Sie braucht sicher noch einige Zeit, um zur Ruhe zu kommen und sich vorrangig wieder um Sacharbeit kümmern zu können. In Niedersachsen arbeiten wir mit der FDP seit 2003 gut und vertrauensvoll zusammen. Aber wenn die FDP zu schwach bleibt, müssen Sie in die Opposition – auch dann, wenn die CDU stärkste Kraft wird. Eine Regierungskoalition im Landtag könnte sich dann aus einem Bündnis der zweitstärksten mit der drittstärksten Kraft ergeben: Rot-Grün. Das sehe ich nicht so. SPD und Grüne liefern doch selbst die besten Argumente, dass es nicht so weit kommt. Beispiel Finanzpolitik: Beiden fällt – das haben ihre jüngsten Parteitage gezeigt – nichts als Steuererhöhungen ein. Vor solchen Beschlüssen hatte übrigens vorab der frühere Kanzler Gerhard Schröder ausdrücklich gewarnt und das aus gutem Grund. Die Wähler der Mitte wollen keine Steuererhöhungen. Ist das der schlichte Egoismus der Mittelschicht, die Angst hat, dass die Politik ihr ans Portemonnaie geht? Nein, es geht um eine grundsätzliche politische Richtungsfrage. Viele Wähler ahnen, dass eine Politik, die auf Steuererhöhungen setzt, die Konjunktur abwürgen und Arbeitsplätze gefährden würde. Und genauso ist es. In Niedersachsen erleben wir derzeit, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht wie seit 19 Jahren nicht mehr und dass immer mehr Landkreise sogar annähernd Vollbeschäftigung erreichen. Diesen Trend gilt es zu stützen. Die Steuereinnahmen steigen derzeit – auch ohne Anhebung der Steuersätze. Wenn das Geld trotzdem nicht reicht, erwarten die Wähler der Mitte, dass die Politik auch mal innehält und die Frage stellt: Was muss der Staat finanzieren – und worauf kann verzichtet werden? In diesem Punkt sind viele Bürger weiter als die Politik. Aber auch gut verdienende Eltern aus der Mittelschicht werden doch nachdenklich, wenn ihnen die SPD die Abschaffung der Studiengebühren verspricht. Bei zwei Kindern im Gymnasium heißt das: Die Eltern entscheiden per Kreuzchen, ob sie im Laufe von fünf Jahren 10 000 Euro hinblättern wollen oder nicht. Die Anziehungskraft der niedersächsischen Hochschulen hat durch die Studienbeiträge nicht nachgelassen. Im Gegenteil: Durch sie fließen jährlich 100 Millionen Euro zusätzlich in die bessere Qualität der Hochschullehre. Anders als manche behaupten, hindern die Beiträge keinen Studenten an der Aufnahme eines Studiums. Aus sozialen Gründen kann man von den Studienbeiträgen befreit werden. Außerdem gibt es günstige Darlehen. Im Übrigen halte ich einen eigenen Ausbildungsbeitrag angehender Akademiker für gerechter, als die Hochschulen komplett über Steuern zu finanzieren. Denn dann zahlt die Krankenschwester mit ihren Steuern für die Ausbildung des künftigen Chefarztes. Ist das sozial? Ein weiteres heiß diskutiertes Bildungsthema ist die Frage, wie angesichts sinkender Schülerzahlen die künftige Schullandschaft in Niedersachsen aussehen soll. Einen formalen sogenannten Schulfrieden im Land haben Sie nicht erreichen können. Das liegt aber nicht an uns. CDU und FDP haben sich weit bewegt. Ein Kompromiss kann aber nur gelingen, wenn sich beide Seiten bewegen. SPD und Grüne haben aber unverändert in jedem einzelnen Punkt auf ihren alten Positionen beharrt. So kann kein Kompromiss gelingen. Mit der eingeführten Oberschule haben wir langfristig den Weg in ein Zwei-Säulen-Modell eingeleitet. Die Oberschule ist der ideale Weg für die Kommunen trotz zurückgehender Schülerzahlen im ländlichen Raum ein flächendeckendes, wohnortnahes und qualifiziertes Schulangebot vorzuhalten. Die Opposition wirft Ihnen vor, Sie blockierten neue Gesamtschulen. Was einfach nicht stimmt. Seit dem Jahr 2009 hat diese Landesregierung 37 neue Gesamtschulen genehmigt, davon 33 integrierte Gesamtschulen. Und zum Schuljahresbeginn 2012 sind nochmals drei weitere IGSen geplant. Zum Vergleich: Die SPD hat in ihrer 13-jährigen Regierungszeit nur 30 Gesamtschulen genehmigt. Die IGS ist für uns eine gewollte Ergänzung des Schulsystems. Wir stärken die Gymnasien als beliebte und anerkannte Schulform, führen die Oberschule als neue Schulform ein und lassen neue Gesamtschulen zu. Eine ideologische Politik, die im Ergebnis gegen das Gymnasium gerichtet ist, machen wir nicht mit, und da machen übrigens auch die Eltern nicht mit. Häufiger als anderswo wird in Niedersachsen über die Flüchtlingspolitik gestritten. Ist Ihr Innenminister zu hart? Die kritischen Hinweise, insbesondere aus den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, nehme ich sehr ernst. Die Arbeit der Härtefallkommission hat einen sehr hohen Wert. Gleichwohl haben wir in Niedersachsen mehr Debatten, aber nicht mehr oder weniger Abschiebungen als anderswo. Das deutsche Ausländerrecht ist nun mal sehr kompliziert, und nicht jeder Fall einer Abschiebung durch die zuständigen Landkreise ist gleich dem Innenminister persönlich zuzuschreiben. Uwe Schünemann ist eine der Stützen meiner Regierung, er macht seine Arbeit gut. Herr McAllister, Sie haben schottische Wurzeln, Sie kennen den britischen Premier und die deutsche Kanzlerin persönlich, und nächste Woche fliegen Sie nach London. Sind Sie als Gesandter Angela Merkels unterwegs, mit der Mission, die angeschlagenen deutsch-britischen Beziehungen zu kitten? Ich werbe für einen fairen Umgang miteinander. Premier David Cameron wäre nicht gut beraten, sich von den EU-kritischen Kräften in London europapolitisch immer weiter in eine Isolation treiben zu lassen. Überheblich fand ich in diesem Zusammenhang manche Bemerkungen in Deutschland – beispielsweise die Aussage, die Briten sollten sich als 51. Bundesstaat den USA anschließen und die EU verlassen. Großbritannien ist ein wichtiger Teil von Europa und sollte Mitglied der EU bleiben. Die Fragen stellten Matthias Koch 
und Michael B. Berger