Euromünzen gestapelt
(Bild: © weyo – Fotolia)

„Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans für die Haushaltsjahre 2017 und 2018“

15. September 2016

Rede des Fraktionsvorsitzenden Björn Thümler im Niedersächsischen Landtag

– Es gilt das gesprochene Wort! –

I. Generalkritik

Die Zahlen, die Herr Schneider eben vorgetragen hat, sind längst nicht so beeindruckend, wie Außenstehende vielleicht glauben mögen. Sie profitieren fortlaufend von Rekordsteuereinnahmen, für die Sie nichts können. Sie profitieren zudem von einem historisch niedrigen Zinsniveau, für das Sie auch nichts können. Hießen Sie Hans statt Peter-Jürgen, würde man auch von „Hans im Glück“ sprechen können.

Aber Obacht bei der Deutung: „Nur die Einfalt findet das Glück“, heißt es. Das wäre hier eine Unterstellung – aber „die Welt will betrogen sein“ – bringt Ihre Haushaltspolitik – also die Anscheinserweckung auf den Punkt. Vor diesem Hintergrund ist Ihre Haushaltspolitik wie vieles andere auch nicht mehr als eine ambitionslose Pflichterfüllung!

Und deshalb wird es selbst in 2018 keine wirkliche Neuverschuldung Null geben. Sie greifen auch dann noch auf die durch Schulden finanzierten Rücklagen zurück! Das ist wie der berühmte Goldesel, der immerzu Geld ausspuckt so oft man es will und braucht.

Und so waren es Haushaltspolitisch vier verlorene Jahre für Niedersachsen. Es gab keine wirkliche Haushaltskonsolidierung. Es gab keine wirkliche Aufgabenkritik, wie sie der Ministerpräsident in seiner ersten Regierungserklärung und noch konkreter in einem Interview der HAZ im April 2013 skizziert hat – Zitat:

„Wir haben uns eine Aufgabenkritik vorgenommen, die hart und mühsam werden wird. Notwendig wird zum einen eine Priorisierung von Aufgaben: Was ist unerlässlich, worauf können wir verzichten? Vor allem aber wird es darum gehen, staatliche Aufgaben effektiver wahrzunehmen und ein nicht hinreichend verzahntes Nebeneinander staatlicher Akteure zu verhindern.“

Tatsache ist: Nichts ist seitdem passiert. Offenbar hat die zu diesem Zweck eingerichtete Arbeitsgruppe unter Leitung von Staatssekretär Mielke nur für den Papierkorb gearbeitet. Großen Ankündigungen folgten nicht einmal kleine Taten!

Jüngstes Beispiel ist der gestern mit viel Brimborium vorgestellte neue Claim für Niedersachsen. Es ist das wohl teuerste Wort in der Landesgeschichte! Dabei war der Anspruch vor drei Jahren noch ein ganz anderer.

Ich zitiere nachfolgend aus der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 1. November 2013:

„Eine moderne und wirksame Landeskampagne muss wesentlich weiter greifen als eine klassische Standort- oder Fachkräftewerbung. Neben der politischen Kommunikation soll in den nächsten Jahren auch das Image Niedersachsens, also Ruf, Prestige, Reputation und Ansehen des Landes, gestärkt werden.“

Wer den Anspruch von damals mit dem Ergebnis von heute vergleicht, der kommt zu dem Ergebnis: Viel Wind um nichts!

II. Verkorkste Bildungspolitik

Gute Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie handelt, bevor Probleme entstehen. Sie aber tun das Gegenteil. Sie reißen ständig mehr Baustellen auf, als bestehende zu schließen!

Nehmen wir als erstes Beispiel die Bildungspolitik. Das derzeit drängendste Problem an Niedersachsens Schulen ist die katastrophal schlechte Unterrichtsversorgung. Die schlechteste seit über 15 Jahren. Und dafür trägt allein die Kultusministerin die Verantwortung!

Am 12. Juni letzten Jahres, wenige Tage nach dem Urteil des OVG Lüneburg zur Lehrerarbeitszeit, titelte die Hannoversche Allgemeine Zeitung: „Neue Lehrer braucht das Land – doch woher kommen sie?“

Das war vor über einem Jahr. Schon damals war Gefahr im Verzug. Schon damals hätte man entschlossen gegensteuern müssen. Geschehen jedoch ist nichts. Und so nahm das Unheil seinen Lauf.

In diesem Sommer spitzte sich die Situation schließlich derart zu, dass in aller Eile ein 17-Punkte-Programm zusammengeflickt wurde. Aber auch dieses Notprogramm wird keine Entlastung bringen.

Michael Ahlers bringt es in seinem Kommentar der Braunschweiger Zeitung am 4. August 2016 auf den Punkt:

„Nun kann man Heiligenstadt gewiss nicht für die Flüchtlingswelle verantwortlich machen. Für Chaos und Missmanagement in der Kultuspolitik allerdings schon. Bis zur Landtagswahl, so müssen es jedenfalls SPD und Grüne befürchten, ist mit der Kultuspolitik kein Blumentopf mehr zu gewinnen.“

Ein weiteres Beispiel: In diesem Sommer liefen die Unternehmen aus Industrie und Handwerk Sturm gegen den eklatanten Lehrermangel an Berufsschulen. Bedauerlicherweise ist dieses Problem nicht regional begrenzt. Wir wissen anhand aktueller Zahlen: Überall in Niedersachsen gibt es an den Berufsbildenden Schulen massiv Unterricht aus. Damit schwächen Sie die duale Ausbildung, ein Kernelement deutscher Bildungs- und Ausbildungspolitik.

Frau Heiligenstadt, mit welcher Begründung streichen Sie den berufsbildenden Schulen insgesamt 360 Lehrerstellen bis 2018? Die Jubelmeldung des Kultusministeriums, für die Berufsschulen 100 zusätzliche Einstellungsmöglichkeiten zu schaffen, ist vor diesem Hintergrund eine wahre Chimäre!

Mein dringender Appell: Beschwören Sie den Kampf gegen den Fachkräftemangel nicht nur in Sonntagsreden. Tun Sie auch in der praktischen Politik etwas dafür. Hören Sie endlich auf, die Berufsschulen als haushaltspolitischen Steinbruch zu missbrauchen!

III. Stiefkind Innere Sicherheit

Die Schulpolitik ist eine große Baustelle der rot-grünen Koalition. Bei der Inneren Sicherheit in Niedersachsen blicken wir in wahre Abgründe! Zunächst einmal gilt festzuhalten: Wir können stolz auf unsere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in Niedersachsen sein, die sich unter schwierigen Bedingungen jeden Tag aufs Neue hochmotiviert für unsere Bürger einsetzen.

In weiten Teilen der Bevölkerung genießt die Arbeit der Polizei eine allgemein hohe Wertschätzung. Diese Anerkennung müsste sie endlich auch aus der Politik erhalten. Die Landesregierung darf die Polizei bei ihrem Kampf für mehr Sicherheit nicht länger im Stich lassen!

Mit Blick auf die schlimmen Bilder vom Wochenende aus Göttingen mit brennenden Straßenbarrikaden frage ich Sie, Herr Pistorius: Wie lange wollen Sie dem lustvollen Treiben hemmungslos gewaltbereiter Linksautonomer noch tatenlos zusehen? Wie lange wollen Sie der Auseinandersetzung linker und rechter Gruppen noch tatenlos zusehen? Wollen Sie wirklich, dass wir in der Tagesschau demnächst regelmäßig Bilder aus Göttingen zu sehen bekommen, die an die Krawalle in der Hamburger Hafenstraße Ende der 80er Jahre erinnern? All das wird auf dem Rücken der Beamten ausgetragen. Das ist nicht in Ordnung – zumal Sie und in besonderer Weise Ihr Koalitionspartner der Polizei mit ausgesprochenem Misstrauen begegnen. Am Ende müssen die Polizisten die Fehler Ihrer Politik ausbaden. Sie dürfen die Polizei nicht länger im Regen stehen lassen. Ziehen Sie am besten noch heute diesen unsäglichen Kabinettsentwurf für ein neues Polizei- und Versammlungsgesetz zurück!

Es gibt ein weiteres Thema, das die Menschen zunehmend umtreibt. Überall, wo ich hinkomme, ist die Einbruchskriminalität Thema Nummer eins. Erst letzte Woche gab es wieder eine traurige Topmeldung in den NDR Nachrichten: „Immer mehr Einbrüche im Land!“ Von einem sprunghaften Anstieg im letzten Jahr spricht die Polizeidirektion Göttingen. Auch in diesem Jahr soll sich der Trend demnach fortsetzen.

Wir alle wissen, dass Opfer von Wohnungseinbrüchen zum Teil über Monate und Jahre in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt sind. Und da glauben Sie, Herr Pistorius, allen Ernstes, mit dem Verweis auf staatliche Finanzhilfen zum Einbruchsschutz Ihrer Verantwortung gerecht zu werden? Was ist denn das für ein Innenminister, der gleichsam sagt: „Wir schaffen das nicht. Wir können nichts machen“? Suchen Sie nicht ständig nach Ausreden, handeln Sie endlich!

IV. Zukunft findet woanders statt

Schon in der alltäglichen Politik ist bei dieser Landesregierung kein Kompass erkennbar. Bei der Entwicklung von Zukunftskonzepten sind Sie total blank. Keinerlei Innovationen, die erkennbar Arbeitsplätze schaffen!

In anderen Bundesländern sieht es anders aus. Bayern hat seit Jahren einen ausgeglichenen Haushalt. Der Freistaat investiert darüber hin aus kräftig in die Zukunft, etwa in den Breitbandausbau. Vor mehr als zwei Jahren hat die bayerische Staatsregierung ein landeseigenes Förderprogramm auf den Weg gebracht. Dafür stehen bis 2018 insgesamt 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung. In Niedersachsen sind es gerade einmal 60 Millionen Euro.

Oder blicken wir einmal über Deutschland hinaus nach Estland. Das Recht auf einen Internet-Breitbandzugang steht in Estland in der Verfassung. Die Digitalisierung des Landes ist in Estland weit vorangeschritten. Es war eine bewusste Entscheidung der dortigen Regierung, den digitalen Staat massiv zu fördern und damit auch für ausländische Investoren interessant zu machen.

Und was passiert derweil in Niedersachsen? Da hat der Wirtschaftsminister jüngst den Eindruck vermittelt, dass sich das Land bei den Förderbescheiden für 14 Landkreise nach der Decke gestreckt hätte. Fakt aber ist: Das Geld kam ausschließlich vom Bund.

Warum sagen Sie das so nicht? Warum loben Sie stattdessen die Förderstrategie des Landes? Warum sind Sie nicht transparent? Warum täuschen Sie eigene Aktivitäten nur vor und verschweigen dabei, dass andere Ihnen dabei helfen?

Wir können doch nicht wollen, dass Zukunft immer nur woanders stattfindet. Dafür müssen wir uns aber auch mehr anstrengen. Die Bundeskanzlerin hat vollkommen Recht: „Der Zugang zum Internet muss so selbstverständlich werden wie der Zugang zu Wasser.“

Tatsächlich ist das Breitband die zentrale Infrastruktur der Zukunft. Es darf in Niedersachsen nicht Glückssache bleiben, dass Haushalte und Unternehmen über zukunftsfähiges Internet verfügen! Wir müssen Breitbandversorgung endlich als Teil der Daseinsvorsorge verstehen. Es ist Aufgabe des Landes, gemeinsam mit den Kommunen für flächendeckendes und leistungsfähiges Internet in ganz Niedersachsen zu sorgen.

Die Kommunen gehen vielfach mutig in Vorleistung. Das Land muss jetzt endlich nachziehen und seine Investitionsmittel deutlich aufstocken! Unser Vorbild dabei ist Estland, das flächendeckend eine 100 Mbit-Versorgung aufgebaut hat. Wir brauchen ein Datennetz bis zur letzten Milchkanne im Land! Herr Weil, Herr Lies, machen Sie doch endlich mal Ihre Hausaufgaben. Gestalten Sie die Zukunft, statt immer nur passiv abzuwarten!

Auch und gerade bei Volkswagen! Was ist denn mit der konkreten Umsetzung der VW-Strategie 2025? Werden die niedersächsischen Standorte am Ende wirklich zu den Gewinnern zählen? Es geht hier schließlich um einen milliardenschweren Markt. Es geht um Zukunftsgeschäfte wie neue Mobilitätsdienstleistungen, Elektromobilität, Batterietechnik und selbstfahrende Autos. Ich frage ganz bewusst: Was springt am Ende bei der konkreten Umsetzung der VW-Strategie 2025 für Niedersachsen heraus?

Im März wurde bekannt, dass VW seine gesamte Brennstoffzellen-Forschung bei Audi in Neckarsulm konzentriert. Es stellt sich hier natürlich die Frage, was aus dem Kompetenzzentrum in Isenbüttel wird.

Ein weiteres Beispiel: Ende August unterzeichneten VW-Vorstandschef Müller und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz eine Partnerschaftsvereinbarung. Hamburg wird also Teststadt für intelligenten Verkehr und autonomes Fahren. Das ist für die Metropolregion Hannover-Braunschweig-Göttingen ein weiterer schwerer Rückschlag. Der Weltkonzern VW entscheidet sich bewusst dagegen, seine Zukunftstechnologien zunächst bei uns in Niedersachsen zu testen. Elektroautos und neue Mobilitätsdienste werden stattdessen in Hamburg angeboten und ausprobiert.

Ich finde: Es wäre an der Zeit, wenn sich auch der Ministerpräsident endlich einmal bei zu diesen wichtigen Standort- und Zukunftsfragen äußern würde! Mit der Landesförderung von Fahrradautobahnen und Zuwendungsbescheiden für Elektrobusse im Nahverkehr wird der Automobilstandort Niedersachsen im harten Wettbewerb um Zukunftstechnologien jedenfalls nicht bestehen!

V. Schlussappell

Kluge Politik zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht wartet, sondern das Wichtige und Notwendige sofort tut. All das kann ich bei Ihnen, Herr Weil, und Ihrer Regierung nicht einmal im Ansatz erkennen.

Herr Weil, Sie sollten sich vor dem Hintergrund der Kommunalwahlergebnisse vom Sonntag einmal ernsthaft die Frage stellen, ob Ihr Kurs in der Flüchtlingspolitik klug war. Mir ist völlig unverständlich, warum Sie die gleichen Pirouetten drehen mussten wie der Vizekanzler Gabriel!

Sie haben im NDR darüber geklagt, dass mit der unbefristeten Aufnahme von Flüchtlingen im Herbst 2015 ein falsches Signal in die Welt gesendet worden sei. Ausgerechnet Sigmar Gabriel, der als erster Bundespolitiker überhaupt öffentlich erklärte: „Wir schaffen das.“, schlägt sich jetzt in die Büsche. Und statt ihn auszubremsen, befeuern Sie, Herr Weil, diese Debatte mit eigenen Beiträgen!

Plötzlich soll das, wofür die SPD in der Großen Koalition mitverantwortlich war, nicht mehr richtig sein? Das ist wirklich grotesk, Herr Weil! Es war Sigmar Gabriel, der neun Tage vor der Bundeskanzlerin den berühmten Satz aussprach. Am 22. August 2015 hatte die SPD einen Video-Podcast zur Flüchtlingskrise veröffentlicht, in dem der Vizekanzler erklärt: „Ich bin sicher: Wir schaffen das.“ Fünf Minuten lang lobt Ihr Bundesvorsitzender darin die Arbeit der freiwilligen Helfer und der zuständigen Behörden. Ihr Bundesvorsitzender verbreitet Zuversicht, die herausfordernde Aufgabe der Integration bewältigen zu können.

Deshalb, Herr Weil: Ihr Fingerzeig Richtung Kanzlerin war völlig daneben. Hören Sie endlich auf mit Ihrer anmaßenden Besserwisserei, hören Sie auf, ständig mit dem Finger nach Berlin zu zeigen – die Finger zeigen immer zu Ihnen zurück.

Sie sollten sich lieber Ihrer eigenen Verantwortung stellen. Was haben Sie denn als Landesregierung in den letzten zwölf Monaten getan, um den Zustrom an Flüchtlingen einzudämmen?

Beim Asylpaket I haben Sie sich im Bundesrat in die Büsche geschlagen. Aktuell blockieren Sie die Einstufung von Marokko, Tunesien und Algerien als sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat. Mir ist völlig unverständlich, weshalb diese beliebten Urlaubsziele unsichere Staaten sein sollen!

Herr Weil, wer wie Sie die angeblich offenen Grenzen für Flüchtlinge beklagt, der müsste dann in der praktischen Politik alles dafür tun, um eine ungesteuerte Zuwanderung über das Asylrecht zu unterbinden. Genau das tun Sie nicht. Sie setzen weiterhin auf die Auszahlung von Bargeld statt Sachleistungen oder Gutscheinen an Flüchtlinge. Sie blockieren bis heute die Einführung von Transitzonen. Führende Sozialmdemokraten haben Transitzonen wider besseres Wissen als Abschiebegefängnisse diffamiert. Dabei wären grenznahe Registrierzentren ein wirkungsvolles Instrument zur besseren Kontrolle unserer Grenze. Sie würden die Möglichkeit eröffnen, abgelehnte Asylbewerber schneller abschieben zu können.

Ich frage Sie ganz konkret, Herr Weil: Wann geben Sie Ihren Widerstand gegen schnelle Verfahren für Asylbewerber, deren Antrag offensichtlich unbegründet ist, endlich auf?

Schon in der alltäglichen Politik ist bei dieser Landesregierung kein Kompass erkennbar. Sie haben aber keine Vorstellung davon, wie dieses Land in fünf oder zehn Jahren aussehen soll. Rot/Grün bleibt erwartungsgemäß hinter den Möglichkeiten zurück.Ihnen fehlt eine klare Vision und ein klarer Antrieb Niedersachsen an die Spitze der Länder zu führen.

Die Menschen in Niedersachsen können mehr und haben eine bessere Regierung verdient!