Focus-Interview: „Die übrige Welt schläft nicht“

27. Februar 2014

Herr McAllister, wenn Sie bald in Brüssel arbeiten, kommen ja ernste kulinarische Konflikte auf Sie zu: Pommes oder Pralinen?

Gerade in Brüssel sollte man in jedem Fall beides probieren.

Sie haben sich schon vor Jahren als Berlin-Hasser geoutet. Glauben Sie, Brüssel ist gemütlicher?

Wie kommen Sie auf diese Einschätzung? Im Gegenteil: Ich bin in dieser Stadt geboren und aufgewachsen und sehr gern hier. Ich habe mich nur über manche Eigenart des Berliner Politikbetriebs gewundert – wie viele andere auch.

Als Europapolitiker sind Sie eher ein unbeschriebenes Blatt. Sind Sie jetzt  plötzlich Spitzenkandidat, weil man nichts anderes für Sie gefunden hat?

Ganz bewusst habe ich mich für eine neue parlamentarische Herausforderung entschieden. Als niedersächsischer Ministerpräsident war ich zugleich Europaminister. Ich bin voller Tatendrang und möchte eigenständige Akzente setzen.

Im niedersächsischen Landtag haben Sie nach dem Verlust des Minister-präsidentenamts in der zweiten Reihe Platz genommen. In Brüssel möchten Sie aber schon wieder in die erste rücken, oder?

Ich möchte die Interessen der Menschen in Deutschland wirksam vertreten. Was ich in Brüssel und Straßburg genau machen werde, wird sich nach der Wahl ergeben.

Bei so viel Bescheidenheit fragt man sich aber schon, warum Sie dann Spitzenkandidat werden mussten. Was haben Sie in und mit Europa vor?

Wir haben uns an viele europäische Errungenschaften gewöhnt. Frieden, Stabilität, Wohlstand und soziale Sicherheit in Europa sind nicht selbstverständlich. Um dauerhaft unseren Standard zu sichern, muss die Europäische Union wettbewerbsfähiger werden. Die übrige Welt schläft nicht.

Mit Ihrem fließenden Englisch könnten Sie als Deutsch-Brite ja versuchen, das schwierige Verhältnis des Vereinigten Königreichs zur EU zu verbessern, oder?

Aus einer deutsch-britischen Familie kommend, bin ich zweisprachig aufgewachsen. Das ist mein persönlicher europäischer Hintergrund. Seit Langem bin ich mit vielen britischen Politikern im Gespräch und werbe intensiv für die europäische Idee. Wir sollten den Briten deutlich machen, dass sie auch künftig als Partner erwünscht sind.

Wie wollen Sie denn die deutschen Wähler überzeugen?

Mit unserem Programm, unseren Kandidaten, unserer Leistungs-bilanz und natürlich mit den Erfolgen von Angela Merkel und der CDU in Deutschland und Europa.

Wieder zeigt sich: Egal, was ansteht – bei der CDU steht immer Angela Merkel im Mittelpunkt. 

Zu Recht. Angela Merkel ist unsere Vorsitzende. Die Krise war ein Weckruf. Viele notwendige Reformen tragen unsere Handschrift, beispielsweise Haushaltskonsolidierung und Strukturreform, die engere wirtschaftliche Abstimmung in der Währungsunion, die Stärkung des Bankensystems und die Rettungsschirme gegen die Krise. Entscheidend ist jetzt, Kurs zu halten und die strukturellen Reformen für Wachstum und Beschäftigung fortzusetzen.

Diese Reformen treiben die Wähler aber den Populisten in die Arme. Was wollen Sie dagegen tun?

Ich denke, man sollte hier nicht übertreiben. Die überwiegende Mehrheit der Menschen will Stabilität und konkrete Sacharbeit, und sie wissen auch, wer dafür steht. Schauen Sie doch nur das Bundestagswahl-ergebnis an. Was die Menschen zu Recht aufregt, sind ärgerliche Kompetenzüberschreitungen in Brüssel, wie bürokratische Regulierungen zu Duschköpfen oder Olivenölkännchen. Europa sollte sich auf die großen Zukunftsaufgaben konzentrieren und sich nicht im bürokratischen Klein-Klein verzetteln.

Welche Aufgaben soll Europa denn wahrnehmen? 

Oh, wie lange haben Sie Zeit? Ich nenne nur einige große Zukunftsaufgaben: die gemeinsame Währung stabil halten, den Binnenmarkt vollenden, die Finanzmärkte streng und wirksam regulieren, mehr Gemeinsamkeit in der Energiepolitik oder bei Fragen von Sicherheit und Verteidigung. Das ist jetzt entscheidend.

Wen fürchten Sie eigentlich mehr: die Stimmungsmacher von der AfD oder die von der CSU? 

Die CDU muss niemanden fürchten. CDU und CSU treten geschlossen für ein Europa der Stabilität ein, ein Europa, das Arbeitsplätze schafft und den Menschen Mitsprache ermöglicht. Dass die CSU dabei eigene Akzente setzt, ist normal.

Die CSU fordert, die Zahl der derzeit 28 EU-Kommissare zu halbieren. 

Entscheidend ist doch: Die EU-Kommission soll effizient arbeiten mit klaren Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten.

Die CSU will über Schlüsselfragen für Europa das Volk direkt abstimmen lassen. Was spricht eigentlich dagegen?

Wir sind in Deutschland auf der Bundesebene mit der repräsentativen Demokratie gut gefahren. Das Grundgesetz sieht Volksabstimmungen nicht vor.

Taugt Deutschland denn als Vorbild für Europa?

Europa ist ein permanenter Austausch unter Partnern. Auch wir können von anderen lernen. Wo wir gut dastehen, können wir uns besonders glaubhaft einbringen. Wer Erfolg hat, sollte sich dafür nicht rechtfertigen müssen. Deshalb habe ich meine Probleme damit, wenn beispielsweise der Handelsüberschuss Deutschlands kritisiert wird.

Sie haben das CDU-Europawahlprogramm mitgeschrieben. Dort empfehlen Sie anderen EU-Staaten wortreich die Rente mit 67. Peinlich, dass die große Koalition jetzt die Rente mit 63 einführen will, oder?

Nein. Das war ja eine Forderung der SPD innerhalb der großen Koalition. Allgemein gilt aber: Deutschland steht gut da, denn es gehört zu den Ländern, die notwendige strukturelle Reformen umgesetzt haben. Einige andere EU-Staaten haben noch einen Weg vor sich.

In Niedersachsen ist es ja gerade auch nicht so richtig gemütlich. Dort scheinen merkwürdige Zustände zu herrschen.

Warum?

Denken Sie an den Fall Wulff. Gegen den Bundespräsidenten a.D. wurde monatelang öffentlich verhandelt. Jetzt geht die Sache wohl aus wie das Hornberger Schießen. Unangenehm für die Staatsanwaltschaft. Haben Sie Mit-leid mit Ihrem einstigen Förderer?

Christian Wulff war ein hervorragender Ministerpräsident, der Niedersachsen enorm nach vorn gebracht hat. Ich hätte ihm auch von Herzen eine erfolgreiche Amtszeit als Bundespräsident gewünscht. Nun bleibt zu hoffen, dass das juristische Verfahren bald abgeschlossen wird und sich die Wogen glätten.

Ist also nach einem erwarteten Freispruch für Christian Wulff die Tür zur CDU Niedersachsen wieder offen?

Christian Wulffs Mitgliedschaft in der CDU ruht, seit er Bundespräsident wurde. Die CDU in Niedersachsen weiß, was sie an ihrem langjährigen Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten hat.

Wie sehen Sie die Rolle der Staatsanwaltschaft im Fall des SPD-Politikers Sebastian Edathy?

Die Arbeit der Staatsanwaltschaft in diesem Fall kann ich im Detail nicht beurteilen.

Noch immer ist schließlich offen, ob und wie Edathy gewarnt wurde.

Wer hat wann, wie und von wem was erfahren und mit wem gesprochen? Alle Beteiligten können einen Beitrag leisten, den Sachverhalt lückenlos aufzuklären und offene Fragen zu beantworten. Dazu gehören auch die Mitglieder der Landesregierung.  n

 Interview: Margarete van Ackeren / Hans-Jürgen Moritz

Dieses Interview ist im Focus-Magazin 9/14 vom 24.02.2014 erschienen