„Nörgeln ist keine Tugend“

11. April 2012

Ministerpräsident David McAllister MdL

Ministerpräsident David McAllister MdL

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister, 41, sprach mit dem SPIEGEL über die Kosten der Energiewende, die Rolle des Staats beim Netzausbau und die Ängste der Bürger vor neuen Technologien SPIEGEL: Herr Ministerpräsident, haben Sie schon Ihren Stromanbieter gewechselt? McAllister: Privat bin ich Kunde bei der EWE AG in Norddeutschland und gedenke es zu bleiben. SPIEGEL: Viele Bürger sind da weniger festgelegt. Sie sehen, wie die Energiewende die Strompreise in die Höhe treibt, und suchen nach Alternativen. Können Sie das verstehen? McAllister: Strompreise haben für die Menschen eine besondere Bedeutung. Das ist mir bewusst. Und natürlich hat jeder Bürger das Recht, seinen Strom dort einzukaufen, wo er ihn am günstigsten bekommt. Deshalb ist es gut, dass es einen Wettbewerb gibt. Die Energiewende entspricht dem Willen der Menschen in Deutschland. Sie beruhte auf einem parteiübergreifenden Konsens. Jetzt müssen wir sie gemeinsam zum Erfolg führen. Dass das nicht zum Nulltarif geht, war allen Beteiligten von vornherein klar. SPIEGEL: Die Kosten drohen aber jedes vernünftige Maß zu sprengen. Ende vergangenen Jahres haben die steigenden Energiepreise das Lohnplus der Arbeitnehmer komplett aufgezehrt. Macht die Energiewende die Deutschen ärmer? McAllister: Der Umbau unserer Stromerzeugung auf erneuerbare Energien mag kurzfristig zu Mehrkosten führen. Langfristig wird er uns aber große Vorteile bringen. Im Ausbau etwa der Windenergie stecken gerade für die norddeutschen Länder große Chancen. Außerdem werden wir unabhängiger von teuren Energieimporten. SPIEGEL: Da machen die Bürger ganz andere Erfahrungen. Die Kosten steigen und steigen, was vor allem Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger belastet. Brauchen wir einen Sozialtarif für Strom, wie ihn E.on-Chef Johannes Teyssen fordert? McAllister: Was früher die Brotpreise waren, sind heute die Energiepreise. Deshalb brauchen wir mehr Wettbewerb. Und ich sehe ein weiteres Problem: Die Kosten für die energieintensive Wirtschaft wie Stahl, Aluminium, Zink, Papier oder Chemie müssen kalkulierbar bleiben. Wir müssen aufpassen, dass die Energiepreise in Deutschland nicht zu einer Deindustrialisierung unseres Landes führen. Wir sind Industrieland und wollen es bleiben. Das garantiert uns Arbeitsplätze und gibt den Menschen Sicherheit. SPIEGEL: Die Deindustrialisierung gibt es bereits. Müssen wir uns damit abfinden, dass energieintensive Industrien hierzulande keine Zukunft haben? McAllister: Nein, auf keinen Fall. Wir arbeiten auf allen Ebenen sehr intensiv und erfolgreich daran, dass energieintensive Unternehmen in Deutschland bleiben. Wir sollten froh und dankbar sein, dass Deutschland eine so starke Industrie hat. Sehen Sie sich Großbritannien an. Dort hat man dem Niedergang der Industrie über Jahrzehnte tatenlos zugesehen. Heute will die Londoner Regierung die verlorengegangenen Produktionszweige zurückholen und muss feststellen, wie schwer das ist. Wir müssen deshalb alles tun, um unsere industrielle Basis in Deutschland zu erhalten. Und dazu gehört auch die energieintensive Industrie. SPIEGEL: Der zuständige Umweltminister Norbert Röttgen sieht das anders. Er will die schmutzigen Industrien durch saubere Produktionszweige auf der Basis von Sonnen- und Windstrom ersetzen. McAllister: Noch einmal: Deutschland ist ein Industrieland. Das sieht Norbert Röttgen genauso. Dazu gehört Hightech, und dazu gehören ebenso Lärm und Rauch. Das betone ich als Ministerpräsident eines Bundeslands, das an so erfolgreichen Unternehmen wie Volkswagen oder der Salzgitter AG beteiligt ist. Die Energiewende ist eben auch ein industrielles Großprojekt. SPIEGEL: Das Großprojekt kommt aber nicht voran. Bis heute ist unklar, wo der Strom nach dem Ausstieg aus der Atomkraft für die deutsche Industrie produziert und wie er weitergeleitet werden soll. McAllister: Nun aber mal langsam. Die Bundeskanzlerin hat die Energiewende zu Recht als die größte wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Herausforderung seit der Wiedervereinigung bezeichnet. Es geht um eine Aufgabe, die bis ins Jahr 2050 reicht. Diese Aufgabe ist so gewaltig, dass sie nicht im Handumdrehen erledigt werden kann. Nach nur knapp einem Jahr haben wir schon sehr wichtige Schritte gemacht. Wir brauchen aber noch mehr Mut, Kreativität – und auch mehr Dynamik. Nörgeln und Dagegensein sind gerade jetzt keine guten Tugenden. SPIEGEL: Was muss geschehen, damit die Energiewende endlich vorankommt? McAllister: Bund und Länder haben Pläne vorgelegt, wie die erneuerbaren Energien weiterentwickelt und die Stromnetze entsprechend ausgebaut werden sollen. Zugleich wird die Bundesregierung jährlich genauestens überprüfen, ob die vereinbarten Ziele erreicht worden sind. Anfang Juni wollen sich die Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin treffen, um eine erste Bilanz zu ziehen. Dann werden die weiteren Weichen gestellt. SPIEGEL: Die Pläne passen doch hinten und vorn nicht zusammen. Bayern und Baden-Württemberg wollen neue Windparks vor allem im Süden errichten. Sie setzen auf Anlagen in der Nordsee. Wie wollen Sie den Streit lösen? McAllister: Es macht mehr Sinn, Windräder dort aufzustellen, wo der Wind kräftig weht. Deshalb sind die Küstenlagen und das offene Meer besser geeignet als enge Täler im Schwarzwald. Die Offshore-Windenergie ist eine Schlüsseltechnologie für die Energiewende. Ohne sie wird das Projekt nicht gelingen. Dies wird keiner ernsthaft bestreiten. SPIEGEL: Das Problem besteht aber darin, dass der Strom dann über viele hundert Kilometer von Nord nach Süd transportiert werden muss. Derzeit hapert es schon beim Anschluss der Offshore-Windparks an das Stromnetz an Land. McAllister: Die fünf norddeutschen Ministerpräsidenten haben kürzlich in Berlin mit dem zuständigen Netzbetreiber Tennet über das Problem gesprochen. Das Unternehmen hat verschiedene Zusagen gemacht, sich aber außerstande gesehen, die notwendigen Investitionen von etwa 15 Milliarden Euro zu finanzieren. SPIEGEL: Tennet ist doch gesetzlich zum Anschluss verpflichtet. McAllister: Das stimmt. Aber wenn der Netzbetreiber das Geld nicht hat und sein Eigentümer, der niederländische Staat, die erforderlichen Summen ebenfalls nicht aufbringen will, dann muss man über andere Wege nachdenken. SPIEGEL: Das klingt nach Krediten von der deutschen Staatsbank KfW. McAllister: Das wird nicht reichen. Denn Tennet fehlt es nicht an Kreditmitteln, sondern an Eigenkapital. Die KfW könnte sich aber zumindest für eine Übergangszeit mit geeigneten Beteiligungen engagieren – und zwar als Miteigentümer, nicht als Darlehensgeber. Das Bundeswirtschaftsministerium sollte gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium diese Frage einmal klären. Mittel- und längerfristig muss aber nach strukturellen Änderungen für die Finanzierung der Offshore-Netzanbindungen gesucht werden. Im Mittelpunkt solcher Überlegungen stehen freiwillige Lösungen auch für die Errichtung einer neuen einheitlichen Netzgesellschaft unter der aktiven Moderation des Bundes. SPIEGEL: Sie streiten sich mit Tennet nicht nur beim Anschluss der Offshore-Windparks, sondern auch beim Ausbau der Stromtrassen. Wo liegt das Problem? McAllister: Es gibt drei große Nord-Süd-Verbindungen, die alle durch Niedersachsen gehen. Zwei der Raumordnungsverfahren sind abgeschlossen. Dennoch hat Tennet bislang nicht die erforderlichen Anträge auf Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens vorgelegt. SPIEGEL: Warum nicht? McAllister: Unsere Planungen sehen einige Streckenabschnitte vor, in denen die Stromkabel unter der Erde verlaufen sollen. Es entspricht der Gesetzeslage, dass Leitungen, die in weniger als 400 Meter Entfernung zu Siedlungen verlaufen, unterirdisch verlegt werden müssen. Das ist im Interesse der Menschen auch gut so. Mit dieser Vorgabe hat Tennet Probleme. SPIEGEL: Es gibt viele in der Union, die Ihnen eine Politik nach dem Sankt-Florians-Prinzip vorwerfen. Niedersachsen will mit seinen Offshore-Windparks von der Energiewende profitieren, aber seinen Bürgern keine Lasten zumuten. McAllister: Das ist falsch. Wir planen mit Hochdruck die neuen Trassen. Aber die Proteste der Betroffenen sind doch nachvollziehbar. Der Netzausbau beeinträchtigt das Landschaftsbild. Und er könnte dazu führen, dass der Wert der betroffenen Grundstücke sinkt. In Niedersachsen hat es gegen die Trasse von Wahle nach Mecklar 16 000 Einwendungen von Bürgern gegeben. Das nehme ich sehr ernst. SPIEGEL: Nach dieser Melodie hat sich Niedersachsen auch der CCS-Technologie verweigert, bei der CO2 unterirdisch gespeichert wird, um Kohlekraftwerke klimaneutral betreiben zu können. Wie soll das gehen, wenn alle sagen: Energiewende ja, aber nicht bei mir? McAllister: Von der CCS-Technologie bin ich nicht überzeugt. Sie ist unausgereift und verursacht Riesenängste bei den Menschen. Dafür habe ich Verständnis. SPIEGEL: Es gibt keinerlei wissenschaftlichen Nachweis, dass CCS gefährlich ist. McAllister: Dann sollen andere Bundesländer doch mit der Erprobung voranschreiten. Wir in Niedersachsen haben mit den Problemen im Zusammenhang mit der Endlagerung des Atommülls – mit Gorleben, der Asse und dem Schacht Konrad – und dem Ausbau der Trassen schon genug zu tragen. Wo ist der Beitrag der anderen? Das Land Brandenburg zum Beispiel, das bei der Energieerzeugung auf Braunkohle setzt und CCS befürwortet, war nicht bereit, in dieser Frage eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des SPIEGEL. Erschienen in DER SPIEGEL vom 07.04.2012, Ausgabe 15, Seite 24.